Hebammennachwuchs – unsere Zukunft!?!

Nach einem anstrengenden Dienst in der Klinik, in der ich nur im Stehen in meine Brezel gebissen, einen Schluck Kaffee während der Dokumentation getrunken habe und nicht auf der Toilette war, frage ich mich schon manchmal, wieso ich das ganze nun schon knapp 2 Jahre mitmache.

Wenn ich daran denke, dass ich bis zu meiner Rente noch über 40 Jahre arbeiten muss, bin ich hoch motiviert mich dafür einzusetzen, dass sich an der Situation der angestellten Hebammen in den Kliniken etwas ändert und zwar möglichst schnell! Denn so kann es nicht weitergehen! Der erste Schritt ist es für ALLE ersichtlich aufzuschreiben, wie es so in einem Kreißsaal mit Hebammenschülerinnen aussieht. Denn diese sind der Schlüssel für die Zukunft der Hebammen!

Feedback für Hebammenschülerinnen so wichtig

Ich werde jetzt noch mindestens 1 Stunde nachdokumentieren und muss die 2 Geburtsdokumentationen meiner 2 Mittelkursschülerinnen durchlesen. Am besten mich mit ihnen zu einer kleinen Reflektionsrunde zusammensetzen um ihnen gleich Feedback zu geben, damit eventuelle Missverständnisse, die im wuseligen Dienst durchaus schnell entstehen können, aus dem Weg geräumt sind. Nur so können sie sich weiterentwickeln und mir die Fragen stellen die während dem stressigen Dienst aufgekommen sind. Ich weiß, dass ich deswegen noch später anfangen kann zu dokumentieren. Aber ich muss es einfach machen. Ich erinnere mich noch gut daran, wie es mir in der Ausbildung ging, als ich nach einem ordentlichen Dienst ohne Pause plötzlich nach dem Dienst dastand und die Hebamme mir müde gesagt hat, dass alles gut wäre und ich jetzt nach Hause gehen soll und mich ausruhen solle. Es war ein unbefriedigendes Gefühl, denn sehr oft habe ich alleine arbeiten müssen, konnte meine Fragen während einer Geburt schlecht stellen, danach fehlte die Zeit oft auch und schwups war der Dienst vorbei und man wurde auch schon nach Hause entlassen. Und sollte morgen wieder dorthin kommen, obwohl man vielleicht einen blöden Kommentar abbekommen hatte.

Wie viel besser habe ich die Dienste in Erinnerung, wo ich mit meiner betreuenden Hebamme, und sei es auch nur auf dem Flur zwischen zwei Kreißsäalen, kurz ein paar Worte wechseln konnte, ein kurzes Feedback bekommen habe und meine Fragen stellen konnte. Es tat gut, so kleine Dinge aufarbeiten zu können, riesige Knoten im Gehirn zu minimieren und somit frei zu werden für neue Eindrücke.

Keine Zeit für den Hebammennachwuchs

Ich arbeite in einem Kreißsaal mit aktuell rund 3300 Geburten im Jahr, wir haben 6 Kreißsäale, 4 Wehenräume, dazu 3 Aufnahmezimmer, betreuen die Kontroll-CTGs unserer  Risikoschwangerenstation, sind unter der Woche von 16:00 – 8:00 Uhr zuständig für alle ambulanten Schwangeren und bilden im Jahr etwa 50 Hebammenschülerinnen aus.

Diese 50 Hebammenschülerinnen sind unsere Zukunft, nicht nur als geburtenstärkster Stuttgarter Kreißsaal, sondern unsere Zukunft als Hebammen deutschlandweit, als Frauen mit Kinderwunsch und als Mütter, deren Töchter einmal gebären werden.

Wenn man meine Auflistung der Tätigkeiten von vorhin anschaut, kommen die Hebammenschülerinnen an letzter Stelle. Das passiert mir leider viel zu oft im Kreißsaal-Alltag und es ärgert mich ganz arg!

Ohne die mit mir arbeitende Hebammenschülerin wäre ich im Dienst schlichtweg aufgeschmissen. Je nach Wissens- und Ausbildungsstand werden Hebammenschülerinnen in die verschiedenen Tätigkeiten der Hebammenarbeit und in das Handwerk eingelernt.

Das Hebammenhandwerk wird erlernt

Im Grundkurs (1. Ausbildungsjahr) beobachtet eine Hebammenschülerin am Anfang sehr viel, schaut zu, lernt, verarbeitet. Nach einer Weile werden Tätigkeiten erlernt, zu denen Vitalparameter erheben, Neugeborenes wiegen, messen, wickeln und versorgen gehören. Dazu kommt jedoch der erste große Schritt: eine wehende Frau betreuen. Frauen unter Wehen kennenlernen, zu erkennen in welchem Stadium der Geburt sie sind, was ihre Bedürfnisse sind. Dass es Momente gibt, in denen man schweigt und aushält. Wie man Ruhe vermittelt, seine eigenen Bewegungen so koordiniert, dass die Frau sich nicht gestört fühlt. Wie tröstende, Mut zusprechende, motivierende Worte und der respektvolle Umgang mit Paaren in so einem prägenden Moment wie der Geburt klingen.

Dieser Anfang ist prägend für eine Hebammenschülerin und ich finde ihn so enorm wichtig! Jeden Dienst nehme ich es mir aufs Neue vor, diese Fähigkeiten an meine mir zugeteilte Schülerin weiterzugeben, ein gutes Vorbild für sie zu sein.  Und so oft, fällt es mir in dem Trubel eines Dienstes schwer, daran festzuhalten und meine Überlastung nicht auf die Schülerin abzuladen, ihr ermutigende Worte zuzusprechen, sie, wenn es sein muss,   respektvoll zurechtzuweisen und ihr die Chance für eine Verbesserung zu geben. Denn mit positiven Erlebnissen und Lob ist die Leistung bewiesener Maßen höher und die Motivation weiter zu kommen signifikant höher!

Lernen, die richtigen Worte zu finden

Im Mittelkurs (2. Ausbildungsjahr) kommt dann ein großes Wissen an Physiologie dazu und die Hebammenschülerinnen dürfen nun den sogenannten Dammschutz durchführen. Der Dammschutz wird gemacht, wenn das Köpfchen (bei einer Beckenendlagengeburt geht das etwas anders) den Damm belastet und mit seinem größten Umfang über den Damm geboren wird. Mit der einen Hand hält/bremst man das Köpfchen vorsichtig und mit der anderen Hand hält man traditioneller Weise den Damm, um somit den möglich austretenden Stuhlgang vom kindlichen Köpfchen fern zu halten. Wenn der Kopf geboren ist, leitet man in der nächsten Wehe vorsichtig die Schultern mit senken und heben im richtigen Moment aus dem Geburtsweg heraus und entwickelt so das Neugeborene. Meistens gibt man das Neugeborene dann sofort der Mutter. Viel wichtiger als diesen mechanischen Dammschutz finde ich den kommunikativen Dammschutz. Damit meine ich die Worte mit denen ich als Hebamme die Frau durch diesen letzten Weg der Geburt leite. Das können je nach Situation sehr sanfte, ermutigende, motivierende, aber auch kraftvolle und starke und gleichzeitig sehr respektvolle Worte sein. Das zu erlernen braucht Zeit, Erfahrung und ruhige Hebammen, die hinter der Hebammenschülerin stehen, sie agieren lassen, im richtigen Moment so viel wie nötig und so wenig wie möglich eingreifen.

Im Kreißsaal in dem ich arbeite sind die Geburten, in denen ich den Kopf komplett frei habe und nicht parallel an die 4 anderen mir zugeteilten Frauen denken muss, rar. Selten habe ich so viel innere Ruhe, eine Hebammenschülerin während einer Geburt anzuleiten, und wenn, dann fehlt mir oft die Geduld sie lernen zu lassen und der Gedanke an die anderen zu betreuenden Frauen lässt mich viele Dinge selber machen, anstatt sie vernünftig unter Aufsicht zu delegieren. Wer leidet darunter? Die Ausbildung unserer zukünftigen Hebammen!

Lernen, auch mit schwierigen Situationen klarzukommen

Im Oberkurs (3. Ausbildungsjahr) kommt dann die Vielfalt der Situationen dazu, die während einer Schwangerschaft, der Geburt und im Frühwochenbett auch mal nicht so gut laufen und einen vor die Herausforderung stellen Mutter und Kind gesund aus der Situation heraus zu bringen. Diese Situationen erleben unsere Schülerinnen auch schon von Beginn der Ausbildung an, da wir ein Level-1 Kreißsaal sind, mit Kinderklinik und somit viele Risikoschwangerschaften, Frühchengeburten und Geburten von kranken Müttern und Kindern betreuen. Nun müssen die Hebammenschülerinnen auch mit diesen Situationen zurechtkommen, Vorschläge liefern und zunehmend präsenter in der Geburtsleitung sein. Natürlich trage ich als Hebamme die Endverantwortung für alles was sie unter meiner Aufsicht machen, mit allen Konsequenzen. Oft fühle ich mich dieser Verantwortung völlig ausgeliefert, da so viel auf einmal los ist, dass ich eine Oberkursschülerin gezwungener Maßen alleine lasse, parallel mit einer Grundkursschülerin eine andere Gebärende betreue und bete, dass in dem anderen Kreißsaal alles in Ordnung ist, die Oberkursschülerin mich rechtzeitig holt, wenn etwas nicht stimmt und ich aus dem anderen Kreißsaal auch raus kann, wenn in dem anderen das Kind kommt. Solche Situationen wie gerade beschrieben, sind nicht die Seltenheit und kommen immer häufiger vor. Die Oberkursschülerinnen sind gezwungen die Situation lange quasi alleine zu tragen und sind dieser Verantwortung oft noch nicht gewachsen, bzw. sollten sie nicht tragen!

Reflexion und Lob lohnen sich immer

Mich machen solche Dienste wütend! Wütend, weil sie oft ungeklärte Situationen mit sich bringen, manche Schülerinnen mit Schuldgefühlen belastet aus dem Dienst gehen, keine Zeit für Aufarbeitung bleibt und die Zeit für eine vernünftige Reflexion fehlt! Oft genug schaffe ich es nicht, mich mit der/den Hebammenschülerin/nen hinzusetzen und kurz die wichtigsten Dinge zu bereden, da ich selber so erschöpft bin, noch die Liste mit den zu erledigenden Dingen in meinem Kopf habe und auch endlich einen Moment für mich selber brauche.

Wenn ich es jedoch mal schaffe und mir aktiv die Zeit nehme, bekomme ich meistens gutes Feedback, sehe, wie die Hebammenschülerin etwas aufrechter und mit einem Lächeln im Gesicht aus dem Dienstzimmer geht. Denn etwas zum Loben findet man immer! Und sei es die große Entlastung die mir ihre Anwesenheit und die gut ausgeführten, noch so kleinen delegierten Tätigkeiten sind!

Es muss sich endlich etwas ändern

Was ich mir wünsche: Ich wünsche mir einen grundlegend besseren Betreuungsschlüssel vor allem in den großen Ausbildungskreißsäalen von Deutschland, der es möglich macht, Paare unter der Geburt, ohne den Druck für weitere 4-7 wehende (!) Frauen auf einmal verantwortlich zu sein, zu betreuen! Ich wünsche mir eine bessere Vergütung für unsere verantwortungsvolle Tätigkeit, die unter den aktuellen stressigen Bedingungen trotzdem fehlerfrei ausgeübt werden soll, da die Folgen über Leben und Tod entscheiden! Dieser Druck gehört angemessen vergütet! Ich wünsche mir jedoch vor allem eine zusätzliche Vergütung für Hebammen, sei es in Form von bezahlten Anleitungsstunden, Wertschätzung in Form von Bonuszahlungen oder einkalkulierter Arbeitszeit, die während dem Kreißsaal-Alltag die Hebammen der Zukunft ausbilden sollen! Denn dies ist das, in was wir wirklich investieren sollten! In unsere neuen Kolleginnen und Kollegen, die motiviert sind, diesen wundervollen, kraftvollen, jedoch auch herausfordernden Beruf zu erlernen, während der Ausübung gesund zu bleiben und noch lange in den Kreißsäalen arbeiten zu wollen!

An dieser Stelle möchte ich allen Hebammenschülerinnen danken, vor allem denen, die unseren Kreißsaal mit wuppen, aber auch bundesweit allen anderen! Vielen Dank für euren Mut, eure Kraft, eure Ausdauer und eure Pfiffigkeit! Ihr seid uns eine große Hilfe, auch wenn wir dazu nicht immer die richtigen Worte finden! Habt Mut für den weiteren Weg eurer Ausbildung und eures Studiums, es lohnt sich durch zu halten! Und wenn ihr fertig seid, dann traut euch an die großen Kliniken! Man kann auch dort sehr gute Geburtshilfe leisten, doch der absolute Schlüssel dafür ist mehr Personal: Und das seid IHR!

Damit sich etwas ändert, müssen wir als junge Hebammen das Wort erheben! Wir sind die Zukunft, wir dürfen uns nicht mit Aussagen zufrieden geben wie „Das ist halt so“ oder „Da können wir eh nix machen, das wird auf politischer Ebene entschieden…“ Lasst uns gemeinsam laut werden. Macht mit bei Midiaid!

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Hebamme in der klinischen Geburtshilfe und Freiberuflichkeit, Midiaid-Bloggerin und begeisterte Hobby-Kletterin