Als Hebamme zurück in Deutschland – und jetzt?

Wenn man eine Weile lang im Ausland gelebt hat, betrachtet man nach der Rückkehr ins Heimatland vieles aus einem anderen Blickwinkel. Ich habe zusammen mit meiner Family die letzten drei Jahre im kanadischen Toronto gelebt, und nun bemerke ich sie überall. Diese kleinen kulturellen, gesellschaftlichen, politischen Unterschiede. Ganz automatisch vergleicht man alles – wie wars in Kanada, wie ist es hier in Deutschland. So mache ich das als Hebamme natürlich auch in meinem Berufsleben. Ich bin nach dreijähriger Pause wieder im Kreißsaal im Stuttgarter Katharinenhospital eingestiegen. Nebenher arbeite ich zu 50% als freiberufliche Hebamme und mache Geburtsvorbereitung, Nachsorgen, etc. Viele meiner Kolleginnen fragen mich jetzt: Wo lebt und arbeitet es sich nun als Hebamme besser?

Situation der Hebammen in Deutschland

Eines gleich mal vorneweg: An den Missständen der Hebammen in Deutschland hat sich in den letzten drei Jahren leider nichts geändert. Der Hebammenmangel treibt das Arbeitspensum ins Maximum, die Prämien für die Haftpflichtversicherung sind weiter gestiegen, wir werden weiterhin nicht angemessen für unsere Arbeit und Verantwortung kompensiert. Nach nur zwei Monaten seit meiner Rückkehr fühle ich mich schon wieder total gestresst und ausgebrannt. Wie in vielen Großstädten sind wir auch in Stuttgart chronisch unterbesetzt. Im Kreißsaal ist die Hölle los, die Babys kommen in Massen (Wie damals im Frühjahr 2007, neun Monate nach dem Sommermärchen 2006 🙂 ). Wir haben einfach nicht genügend Hebammen um die momentane Geburtenrate zu stemmen. Und woher sollen die Hebammen auch kommen? Den Beruf Hebamme zu ergreifen ist wirtschaftlich absolut sinnlos. Immer weniger junge Frauen entscheiden sich dafür. Ein Teufelskreis.

Akademisierung des Hebammenberufs in Kanada weiter voraus

Ich habe die Situation der Hebammen in Kanada schon im Rahmen eines Artikels im Hebammenforum, der Fachzeitschrift des Deutschen Hebammenverbandes, beleuchtet. Größter Unterschied: Der Hebammenberuf ist in Kanada seit Mitte der 90er komplett akademisiert und Hebammen stehen deshalb fachlich, gesellschaftlich und auch finanziell mit Ärzten auf dem gleichen Level. Das ist echt beeindruckend! Eine Hebamme hat in Ontario dieselbe Reputation wie ein Arzt. „Lassen sie mich durch, ich bin Arzt!“ Als Hebamme kann man den Spruch auch als Hebamme bringen: „Let me pass, I’m a midwife!“ 🙂

Warum kann das auch nicht bei uns so sein? Warum sind Hebammen in Deutschland Ärzten nicht gleichgestellt? Man kann die Schuld den grossen Krankenkassen, den Lobbyisten, der Politik geben. Ganz offensichtlich ist aber, dass wir als Hebammen bisher „nur“ eine dreijährige Ausbildung absolvieren, während die Doktores ein langjähriges Studium an der Uni genießen. Sie erlernen in dieser Zeit einen Wissensschatz, welcher schlicht und einfach besser bezahlt wird als unser Ausbildungswissen – fair oder unfair, es ist die Realität.

Deshalb finde ich es absolut klasse, dass unser Verband und die Politik dafür gesorgt haben, dass unser Beruf im Jahre 2019 endlich auch in Deutschland, als eine der letzten Nationen der EU, akademisiert wird. Ich bin zu einer absoluten Verfechterin für die Akademisierung geworden und glaube, dass sich dadurch bei uns einiges zum Besseren wenden wird. Ich habe selbst schon vor 10 Jahren einen Bachelor of Science via Fernstudium an der University of Glasgow gemacht und dabei folgende Vorteile im Hebammenalltag festgestellt:

  • Durch das erweiterte Fachwissen bin ich im Kreißsaal mit den Ärzten auf Augenhöhe und kann Entscheidungen von Ärzten wissenschaftlich fundiert besser hinterfragen – mit Bauchgefühl kommt man bei denen nicht weit 🙂
  • Ich kann wissenschaftliche Studien besser bewerten und in meine Arbeit einfliessen lassen. Zum Beispiel wurde 2014 die Leitlinie für Geburtseinleitungen geändert. Ich schaute mir die Studie dafür an und konnte mir meine eigene Meinung darüber bilden. Seitdem rate ich meinen Mamas davon ab, und zwar basierend auf einer wissenschaftlichen Grundlage (die Datenbasis war ungenügend und basierte auf veralteten Studien) und nicht aufgrund meines „Bauchgefühls“.
  • In Deutschland gibt es immer mehr Haftungsfälle gegenüber Hebammen. Durch mein Studium kann ich trotzdem selbstbewusst auftreten, da meine Entscheidungen auf dem neusten wissenschaftlichen Stand basieren.

Hebammen in Kanada immer noch eine Nische

Trotz der guten gesellschaftlichen Stellung läuft da drüben in Kanada aber längst nicht alles rund was die Schwangerenversorgung, Geburtshilfe und Wochenbettbetreuung angeht. Der Hebammenberuf ist vergleichsweise jung und in der Bevölkerung nicht sehr verbreitet. Eine Entbindung im Krankenhaus mit Arzt oder Gynäkologe ist immer noch bei rund 90% die Norm. Die Mama muss sich in der Schwangerschaft entscheiden, ob sie den Hebammenweg gehen will oder doch lieber traditionell mit dem Gynäkologen, der dann wie in den Hollywoodkomödie genau am Tag der Entbindung gerade beim Golfen auf den Bahamas ist und eine Vertretung einspringen muss :). Eine zweigleisige Betreuung ist durch die öffentliche Krankenkasse nicht abgedeckt. Entscheidet sie sich für eine Hebamme, steht diese dann in voller Verantwortung, kümmert sich z. Bsp. um Ultraschall Checkups in der Schwangerschaft, leitet die Geburt komplett ohne Arzt und macht Wochenbettbetreuung (auf welche bei der ärztlichen Betreuung komplett verzichtet wird!!)

Gabe des Hebammenhandwerks darf nicht verloren gehen

Hebammen in Kanada sind als Akademikerinnen uns im wissenschaftlichen Arbeiten definitiv voraus. Aber was bei ihnen eindeutig zu kurz kommt: die Intuition, das Bauchgefühl einer Hebamme. Sowas lernt man eben nicht auf der Uni. Das finde ich extrem wichtig. Alles wird evidenzbasiert erörtert, wissenschaftlich begründet, aber das Gefühl für die Mama und das Baby, die menschliche Basis, geht absolut verloren. Wir Hebammen in Deutschland sagen: „Don’t google with a Kugel!“ Macht euch nicht verrückt mit all dem Internetwissen, den Gruselforen, wo die Schwangere mit all den negativen Komplikationen vertraut gemacht wird, damit sie sich so richtig schön Stress machen kann und das Baby im Bauch auch genug davon abkriegt…

In Kanada werden die Frauen dazu motiviert, sich so viel wie möglich im Netz über alles zu informieren und nichts der Intuition zu überlassen. Alles wird mehr von der Schreibtischperspektive erklärt, als am Bauch der Mama auch auf die emotionalen Bedürfnisse einzugehen. Die akademisierten kanadischen Hebammen sind meiner Meinung nach weniger einfühlsam, wie eben auch Ärzte. Sie haben es halt auch nicht anders gelernt. Die Gabe des Hebammenhandwerks, das Menschliche, das Emotionale, darf bei einem Hebammenstudium nicht verloren gehen! Eine Hebamme ist hier in Deutschland eben auch mentaler Coach, und das ist sehr gut so!

Gynäkologen sind gesetzlich verpflichtet, alles pathologisch zu begutachten. Sie suchen immer nach der Abweichung der Norm. Das ist bei uns Hebammen nicht so: Wir begleiten den normalen Ablauf, die Physiologie, und gehen immer vom Guten aus. Wir möchten die Geburt passieren lassen, anstatt ständig Sorgen zu verbreiten. Das wirkt sich beruhigend auf die Mamas und Babys aus. Eine Stütze in dieser Zeit, in der sich für die Moms alles ändert und so viel Neues auf sie zukommt.

Akademisierung der erste Schritt Richtung Besserstellung

Ich kann trotzdem nicht stark genug betonen, wie wichtig die Akademisierung für den Hebammenberuf in Deutschland ist. Wenn wir uns Gehör verschaffen und zu keiner aussterbende Rasse gehören wollen, ist sie unumgänglich! Frauen haben das Recht, auf wissenschaftlichem Stand betreut zu werden. Aus den „Hexenmittelchen“ einer Hebamme wird somit ernst genommene Medizin. Eine neue Studie zeigt, dass der Verzehr von Datteln in der Schwangerschaft und den Wochen vor der Geburt die Eröffnungsphase deutlich verkürzt. Solche Aussagen hätten früher bei Medizinern für Kopfschütteln gesorgt. Nun ist das aber von der Hebammenforschung im Ausland nachgewiesen worden und kann evidenzbasiert empfohlen werden. Eine grossartige Sache! Anstatt zu sagen „Das haben wir schon immer so gemacht, keine Ahnung warum, aber es hilft“, können wir jetzt für solche Tips Studien vorweisen. Genial!

Mit Midiaid Gehör verschaffen

Liebe Kolleginnen, liebe Mamas, als leidenschaftliche Hebamme ist es mein Ziel, dieselbe Wertschätzung und Kompensierung zu erhalten wie unsere Kolleginnen in Kanada. Ich möchte diese Gleichstellung in Deutschland voranbringen. Der Midiaid Blog soll hierfür ein Sprachrohr werden. Die Midiaid App und Hebammensuche, neben einem genial einfachen und nützlichen Tool, endlich ein zentrales Hebammenregister, mit welchem die Unterversorgung in Deutschland exakt nachgewiesen werden kann.

Lasst uns Gehör verschaffen! Macht mit bei Midiaid! Und meldet euch bei uns, wenn ihr euch als Bloggerin bei Midiaid engagieren möchtet! contact@midiaid.com

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Leidenschaftliche Hebamme, Mama, Midiaid Bloggerin und Beraterin für Midiaid