Corona in der Geburtshilfe aus Sicht einer Hebamme

Wie fühlt es sich an, in Corona Zeiten Hebamme zu sein und Geburtshilfe zu leisten? Mit dem Wissen, eine eigene Familie zu haben. Kinder, Eltern, Großeltern, die man, wenn es schlecht läuft, anstecken könnte. Weil man eine CoVid positiv getestete Frau betreuen soll oder betreut hat und sich mittlerweile täglich in die Gefahr begibt, sich anzustecken.

Vor ein paar Wochen war es dann auch für mich soweit, ich betreute eine positiv auf CoVid getestete Frau unter der Geburt. Diese Geburt und die ganze Situation haben mich sehr beschäftigt. Ich habe einige Tränen vergossen und Gespräche geführt, bis ich fassen konnte, was mir so nah ging. Zuerst dachte ich, mein vorrangiges Gefühl ist meine Angst und meine Sorge. Ja, ich hatte regelrechte Panik, dass ich mich selber anstecke, meine Familie mit reinziehe und sie mindestens 14 Tage aus ihrem normalen Geschehen und Alltag ausschalte. Die Gefahr zu laufen, ein positives Kind zu haben, dessen komplette Klasse und Jahrgangsstufe plus alle Angehörige 14 Tage lahm zu legen.

Geburt in Schutzausrüstung

Aber da war noch mehr. In voller Schutzausrüstung stand ich also im Kreißsaal. So sollte ich atmen und arbeiten und eine Frau unter der Geburt betreuen, also mit ihr atmen, Wehen veratmen, eine Minute lang alle 2-3 Minuten und das über Stunden. Mit ihr arbeiten, Positionen wechseln, ihr Becken schütteln, ihren Rücken massieren, ihr Mut zusprechen. Geburt ist Arbeit! Volle Schutzausrüstung bedeutet extra Kleidung, Schuhe, Überschuhe, eine Haube die alle Haare bis zum Haaransatz bedeckt, eine FFP2, wenn nicht sogar eine FFP3-Maske und eine Schutzbrille oder ein Schutzvisier. Danach sieht man aus als käme man aus einem Atomlabor. Schwer kranken Menschen, die auf der Intensivstation um ihr Leben ringen, ist es, vermute ich, egal, wie die betreuende Person aussieht. Aber in diesem Fall handelt es sich um eine sonst gesunde und symptomarme Person, die einfach nur ihr Kind gut gebären möchte.

Klar, die Schutzausrüstung dient meinem Schutz….Nach 1 Stunde drückt diese Schutzbrille mit FFP2 Maske und dem ganzen Rest so sehr auf mein Gesicht, dass es sich anfühlt, als zerfalle es in tausend Stücke. Wie Intensivpfleger*innen und Ärzt*innen das stundenlang aushalten, ist mir ein Rätsel. Diese Bilder aus Italien im Frühjahr wundern mich nicht mehr, medizinisches Personal mit wundgescheuerten Gesichtern, weil sie ihre Schutzausrüstung tagelang, wenn nicht wochenlang am Stück getragen haben. Arbeiten am Limit! Diese Menschen haben meine absolute Bewunderung und Respekt! Hut ab! Was sie jedoch brauchen ist eine dementsprechende Bezahlung! Da reicht kein Applaus….

Geburt ohne Partner

Nun habe ich also diese Schutzausrüstung an und fühle mich wie ein Marsmensch, mir tut selbst alles weh und ich weiß, ich habe hier noch 6-7 Stunden vor mir. Ein- und Ausschleusen ist eine Prozedur, daher möchte man das auch nicht zu oft machen. Und dieser ganze Materialverbrauch und Müll! Das heißt, ich falle meinen Kolleginnen, wenn sie denn Zeit haben, zur Last, einfach nur um mir ein Päckchen Zucker, an das ich vor dem Einschleusen nicht gedacht habe, vor den Kreisssaal zu legen. Dann läuft die Braunüle nicht und ich brauche etwas Kochsalzlösung, danach ist es ein Schmerzmittel, das mir jemand an den Kreißsaal reichen muss.

Die Frau ist unter der Geburt, weht, eine Wehe kommt, sie veratmet diese, die Wehe geht wieder. Aber sie braucht meine Unterstützung beim Atmen, um möglichst entspannt zu bleiben und um es zu schaffen. Ihr Mann ist auch positiv getestet und muss daher daheim bleiben. Auch das bricht mir das Herz, ich hätte meine eigene Geburten vor ein paar Jahren ohne die Unterstützung meines Mannes nicht geschafft. Sie sollen ein Team sein und zusammen zur Familie werden. Die ganze Coronazeit über kämpfen wir Hebammen schon dafür, dass die Frauen keine Alleingeburt haben müssen und ihre Partner dabei sein dürfen. Aber zwei CoVid positive Menschen heiß doppeltes Risiko für das Personal, also auch für mich. Gegensätzliche Wünsche und Grundsätze stoßen in mir aneinander!

Die Angst vorm sich anstecken

Sie weht also, atmet, atmet mir ins Gesicht, denn sie braucht jemand, der bei ihr ist, der ihr nah ist. Klar, ich bin geschützt, aber dieses Wissen in mir drin, da ist dieser Virus, den ich auf keinen Fall bekommen kann. Auch aus finanzieller Sicht. Was passiert, wenn ich mich anstecke. Ich falle für meine freiberuflichen Frauen, die auf mich zählen für Wochenbettbesuche, Vorsorgen und Schwangerschaftsbesuche aus und habe riesige finanzielle Einbußen. Für welche ich keinerlei Ausgleichszahlungen bekommen werde. Dieses, ach lass uns entschleunigen, jetzt wo es die Zeit wohl von uns möchte, gibt es für Hebammen nicht. Wir leisten jeden Tag immer mehr und mehr.

Viele Frauen verlassen die Klinik im Moment früher und nur ungern möchten sie in die Arztpraxis gehen, sondern sind froh, um einen Hausbesuch der Hebamme.

Die Frau erbricht und meine einziger Gedanke ist schon wieder meine Sorge mich anzustecken und ich trete automatisch einen Schritt zurück! Wo ich ihr im Normalfall die Stirn abwischen und ihr die Haare zurückhalten würde. Da wird mir klar, was mich so sehr an die Grenzen bringt: Dass ich diese Frau nicht nach meinen hohen Hebammengrundsätzen betreue, nicht so wie sie es doch verdient hat, betreut zu werden, nicht so, wie ich gerne jede Frau betreuen möchte. Natürlich massiere ich und schüttel ihr Becken und atme mit ihr, aber immer mit dem Gedanken, so oft wie möglich Abstand zu halten. Abstand ist eigentlich ein absolutes Fremdwort für eine gute Hebamme und eine gute Geburtsbegleitung!

Angst gehört nicht in den Kreißsaal

Sicher, wir müssen uns alle erstmal daran gewöhnen, CoVid positive Frauen zu betreuen. Nur diese blöde Angst, die da mit im Spiel ist. Angst ist immer schlecht für eine Geburt. Hebammen sind diejenigen, die angstfrei im Kreißsaal sein sollen, um der Frau die Angst zu nehmen, um diese Geburt möglichst sanft und natürlich verlaufen zu lassen. Dafür darf keine Angst im Raum sein. Aber wie sollen wir das machen mit diesem neuen Virus, das alle in Angst und Schrecken versetzt. Ich versuche trotz allem mein bestes zu geben, weiß aber, dass das lange nicht das Beste ist, das ich geben kann. Auch weil mir mein eigener Körper und mein Herz so weh tut.

Diese Frau hat so viel mehr verdient, ich aber habe so viel mehr im Kopf, als nur diese Betreuung: meine Kinder, meine Familie, meine 93-jährige Oma, die ich weiterhin nicht besuchen gehen kann, da ich in diesem Risikoberuf arbeite. Corona macht so viel mit uns allen und ich wünsche, es wäre längst vorbei. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, aber ich selbst werde wohl noch eine Zeitlang dafür brauchen. Jetzt schon habe ich zeitweise 12-16 Stunden am Stück für Kreißsaaldienst und Hausbesuche eine FFP2-Maske auf. Mein Körper sehnt sich nach frischer Luft, von meiner Haut ganz zu schweigen. Dieses Mitgefühl für die Frau, die in dieser verrückten Zeit ihr Baby auf die Welt bringen muss, ohne ihren Partner, mit einer Hebamme, die Angst vor dem Virus hat.

Corona bringt auch uns Hebammen an unsere Grenzen

Sie klingelt. Ich soll die Tür nicht weit öffnen, damit die Aerosole nicht entkommen. Wenn sie sich jetzt nicht wie eine Aussätzige fühlt, weiß ich auch nicht. So sehe ich jedoch nicht mal in den Raum und sehe nicht ihr Gesicht. Ich frage also die Wand was sie benötigt, dann dauert es mindestens fünf Minuten bis ich umgezogen bin und ihr meine tatsächliche Hilfe zukommen lassen kann. Klar, in lebensbedrohlichen Situationen ist Minimalschutz angesagt, dann auf meine Kosten und Gefahr. Dieses Vorgehen erschüttert mein Hebammenherz aufs Neue und immer wieder an diesem Tag. Und ich weiß, es erschüttert die Herzen meiner Kolleginnen und es wird noch vieler dieser Dienste geben. An alle gebärenden Frauen, die positiv auf CoVid getestet werden, verzeiht uns, es war nicht unsere Idee. Ich hoffe, wir schaffen das!


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Leidenschaftliche Hebamme, Mama, Midiaid Bloggerin und Beraterin für Midiaid